Zeynep Gambetti: Exploratory Notes on the Origins of New Fascisms, Critical Times (2020) 3 (1), 1-32.
Ich finde den Text von Gambetti sehr klug. Er greift Hannah Arendts Überlegungen zu faschistischer Macht auf und diskutiert, wie diese aus dem damaligen „Imperialismus-Faschismus-Totalitarismus-Nexus“ auf den heutigen „Biopolitics-Sicherheits-Neoliberalismus-Nexus“ übertragen werden können. Für Gambetti wesentlich ist die letztlich aus Angst geborene Reproduktion der Entwertung der „Schwachen“ und „Unnützen“, die zu einer Bedrohung gemacht und dehumanisiert werden. Über die Angst „erfasse“ der Faschismus den Einzelnen „von innen“ – auch heute.
Ich hadere allerdings auch mit dem Text und finde Gambettis Übertragung der Angst im Totalitarismus, als Motivation für das Begehren, sich zu unterwerfen, auf die Angst im Neoliberalismus etwas ungenau. Ich glaube nicht, dass Arendt da mitgegangen wäre – auch weil sie in jeder Situation von der Möglichkeit der persönlichen Verantwortung ausging. Vor allem erklärt mir die Angst nicht, was ich in Brandenburg oder auch in Bombay und Delhi als faschistische Tendenzen beobachte. Der Fokus auf die Produktion von Unsicherheit und Angst im Neoliberalismus blendet aus, was in der ethnographischen Beobachtung nur allzu deutlich ins Auge sticht: die Freude, und das Gefühl der Ermächtigung bei denen, die von faschistischen Angeboten überzeugt werden. Nun kann man natürlich sagen, dass man sich machtlos fühlen muss, um Freude an einer Selbst-Ermächtigung zu haben. Aber ist das so? Braucht es ein Gefühl von Machtlosigkeit, um Freude an der Macht zu erleben? Womöglich übersehen solche „Defizit“-Analysen der Möglichkeit von Faschisierungsprozessen wesentliche Momente. Und das wiederum mindert die Strategien der Widerständigkeit.
↗ https://read.dukeupress.edu/critical-times/article/3/1/1/165497/Exploratory-Notes-on-the-Origins-of-New-Fascisms