Julian Borger: “We’ve Proved that Change is Possible” – but Serbia Protesters Unsure of Next Move, The Guardian, 3. Februar 2025.
Es war der letzte Arbeitstag der Woche, der 1.11.2024. Der Bahnhof in Novi Sad, einer pulsierenden, multikulturellen Stadt, war belebter als sonst. Um 11:52 Uhr stürzte das Bahnhofsvordach ein und tötete 15 Menschen. Schock, Trauer und Wut breiteten sich im ganzen Land aus. Aus Mahnwachen und Verkehrsblockaden entwickelte sich eine Protestbewegung, angeführt von Studierenden, die seitdem von der Regierung Rechenschaft, Transparenz und Verantwortung fordern. Die Tragödie in Novi Sad passierte vor dem Hintergrund einer lange bestehenden, systemischen Korruption, zunehmender Armut und vielfältiger Menschenrechtsverletzungen. Dabei hat sich Serbien in den letzten Jahren zu einem attraktiven Land für ausländische Investoren entwickelt und hat sich dem Westen auf durchaus widersprüchliche Weise angenähert. Belgrad hat für 800 Millionen Dollar Munition an die Ukraine geliefert, ohne sich den Sanktionen gegen Russland anzuschließen. Es gibt einen lebhaften Waffenhandel zwischen Serbien und Israel (hier, hier und hier). Im vergangenen Sommer war Bundeskanzler Olaf Scholz dabei, als die EU trotz der Bürgerproteste in Serbien und trotz des Widerstands von Umweltaktivisten einen „Lithium-Pakt“ schmiedete: ein Rahmenabkommen über den Lithiumabbau für die Produktion von Elektrofahrzeugen. Die EU will durch Kooperation mit den korrupten und autoritären Machthabern in Belgrad ihre Lithium-Abhängigkeit von China verringern. Serbiens Präsident gehörte der Regierung von Milošević an und trägt für die Kriegsverbrechen (u. a. Völkermord) in den Jugoslawienkriegen Mitverantwortung.
Warum erfahren wir in Deutschland so wenig über die Studierendenproteste in Serbien? (Ausnahmen hier, hier, hier, hier oder hier).Warum gibt es keine Stellungnahmen von EU-Politiker:innen?
Im Guardian ist am 3.2.2025 ein Artikel erschienen, der die Komplexität dieser seit drei Monaten täglich stattfindenden Proteste anschaulich einfängt und das Schweigen der EU addressiert. Es fällt manchen von uns, die wir in Deutschland in der Diaspora leben, schwer, dieses Schweigen nicht mit dem Schweigen zusammenzudenken, das die genozidalen Schrecken in Gaza und im Westjordanland ignoriert.
↗ With student-led activists reluctant to engage politically against well-entrenched regime, many are asking: now what?