Die BT-Resolution „zum Schutz jüdischen Lebens” identifiziert Jüd:innen mit Israel und ist deshalb selbst antisemitisch

Samantha Carmel: Die falschen Lehren aus dem Holocaust: Deutschland stiehlt mir meine jüdische Identität, der Freitag, 5. Dezember 2024.

Diesen Artikel hat die KriSol-Debatten-Redaktion noch vor ihrer eigentlichen Gründung betreut und teilt ihn hier deshalb als Drop. Statt ihn zusammenzufassen, wollen wir lieber ausführlich zitieren:

„Die Resolution ist kaum verhehlt von der Absicht getrieben, Fundamentalkritik am Krieg der israelischen Regierung gegen das palästinensische Volk zum Schweigen zu bringen, die Schuld für den zunehmenden Antisemitismus in Deutschland auf Geflüchtete sowie migrantisierte und marginalisierte Bevölkerungsgruppen abzuwälzen und eine dehnbare Definition von Antisemitismus zu missbrauchen, deren ursprüngliche Verfasser sie für den juristischen und politischen Gebrauch ungeeignet halten. 

Wenn die Rechte aller eingeschränkt werden, den Staat Israel und die Handlungen der rechtsextremen Netanjahu-Regierung zu kritisieren, werden auch die Rechte der Juden eingeschränkt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, das Deutschland mich zensiert, mich gegen eine Regierung zu wehren, die mich als Jüdin angeblich repräsentiert. Die deutsche Regierung besteht somit nicht nur auf einem autoritären, verengten Verständnis von Israel; sie greift auch legitime Ausdrucksformen jüdischer Identität an und maßt sich an, zu entscheiden, wer als Jude Geltung und Gehör finden soll – letztlich nur diejenigen, die vom Zentralrat der Juden vertreten werden. Der Eindruck einer Kontinuität zu nationalsozialistischen Versuchen, die jüdische Bevölkerung zu hierarchisieren und zu kontrollieren, drängt sich auf. In anderen Worten: Für mich und andere, die nicht sprechen sollen, ist das Antisemitismus.
(…)

Die Resolution beruft sich auf den Schutz jüdischen Lebens, um durch die Schaffung zweier neuer sozialer Kategorien eine völlige Umkehrung von Opfer und Täter zu ermöglichen. Mit dem Konzept des ‚linken antiimperialistischen Antisemiten‘ bietet sie einen rhetorischen Rahmen, in dem ich effektiv meines Jüdischseins beraubt werde. Gleichzeitig erlaubt sie mit dem Konzept des ‚israelsolidarischen Denkens‘ nicht-jüdischen Deutschen, effektiv zu Juden zu werden. Ihre freie Meinungsäußerung, so heißt es in der Resolution, muss ebenso geschützt werden wie die von Personen ‚mit jüdischen Wurzeln und israelischer Herkunft‘. 

Mir fehlen die Worte, um zu beschreiben, wie es sich anfühlt, dass die Nachfahren der Nazis mich aus ihrer Definition des Judentums herausschreiben und mich als Antisemitin einstufen, weil ich nicht zu der politisch nützlichen jüdischen Kategorie gehöre, und dass sie diese Aberkennung meiner Identität mit ihrer Selbsternennung zu potentiellen Opfern von Antisemitismus verbinden. Und all das geschieht als Teil eines politischen Manövers, um den Völkermord in Gaza nicht als solchen anerkennen zu müssen und zugleich eine offen rassistische, einwanderungsfeindliche Wende in Deutschland herbeizuführen? Mir dreht sich der Kopf, mir bricht das Herz.
(…)“

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/nie-wieder-bedeutet-nichts