Dagmar Herzog: Der neue faschistische Körper, mit einem Nachwort von Alberto Toscano, (Wirklichkeit Books) 2025.
„(I)n einem Kontext, in dem Propaganda von Aufklärung, Dokumentation und seriöser Recherche oft nicht mehr leicht zu unterscheiden sind“, fand die Debatte um die Authentizität von Bildern, die Hunger und Hungertod in Gaza zeigten, im Sommer 2025 ihren Tiefpunkt: Nicht nur, dass der Journalist Tobias Huch den zu dieser Zeit vermehrt zirkulierenden Bildern absprach, Dokument des gezielten Aushungerns der palästinensischen Zivilbevölkerung durch das israelische Militär zu sein, nahm er den Fall des bis auf die Knochen abgemagerten Jungen Mohammed Zakarias al-Mutawaq zum Anlass, den Palästinenser:innen zu unterstellen, aufgrund ihres Sexualverhaltens genetische Erkrankungen zu provozieren und einen niedrigen Intelligenzquotienten zu haben. Unbeeindruckt von den medizinischen Einschätzungen, die trotz der Vorerkrankung des Jungen klare Anzeichen von Hunger erkennen, und gleichgültig gegenüber unzähligen anderen Bildern, die untergewichtige Kinderkörper zeigen, zielte Huch mit seinem X-Post auf die Degradierung der palästinensischen Bevölkerung, indem er einen Zusammenhang von Behinderung und Sexualmoral herstellte.
Ebenjener Zusammenhang steht im Zentrum des neuen Buchs der Holocaustforscherin und Geschlechterwissenschaftlerin Dagmar Herzog. „Der neue faschistische Körper“ (2025, Wirklichkeit Books) fügt aktuellen Faschismustheorien ein wichtiges Puzzlestück hinzu. Das Augenmerk des – wie sie es nennt – postmodernen Faschismus liegt auf den „verworrenen Verbindungen zwischen Sexual- und Behinderungspolitik“ (35), die intersektionalen Kategorien Gender, Race und Klasse werden um die wichtige Kategorie der Behinderung ergänzt.
Ausgehend vom Erfolg der AfD geht Herzog im ersten Kapitel darauf ein, inwiefern der anti-migrantische Rassismus dadurch „sexy“ (9) gemacht wird, dass Ekel vor behinderten Körpern geschürt wird. Die „angstgetriebene (…) Abwertung jeglicher Vulnerabilität“ (9), die über die Erotisierung von (körperlicher) Überlegenheit zum Beispiel in AfD Wahlkampfkampagnen vermittelt wird, zeichnet Herzog anhand von fünf Szenen nach, die nicht zufällig auch die Klaviatur der Staatsräson bespielen. Herzog zeigt dabei unter anderem, wie die Abwertung des arabisch-palästinensischen Körpers bzw. der Intelligenz mit einem deutschen Neid auf jüdische Intelligenz einhergeht, dem antisemitische Motive beigemengt sind. Anhand der genauen Lektüre von Aussagen von Journalisten wie Ulf Poschardt oder Mathias Döpfner arbeitet sie heraus, wie mit dieser affektiven Koppelung von Ekel und Neid einerseits jüdische Gelehrsamkeit für (reputations-)ökonomische Zugewinne umworben wird und andererseits der potenziellen Einwanderung von Palästinenser:innen, die durch den Genozid alles verloren haben, affektiv vorgebeugt werden soll.
In diesem Sinne – so ließe sich sagen – befinden wir uns in einer Phase der Vorkonditionierung, die Herzog im dritten Kapitel in Anlehnung an George Mosse erläutert. Mosse hatte dargelegt, dass die rassistische Sensibilisierung der Deutschen, die sich spätestens mit Antritt der Nationalsozialist:innen als auserwähltes Volk empfanden, bereits in den 1890er Jahren einsetzte – und zwar entlang der „affektiven Naht“ (48) zwischen dem exterminatorischen Hass auf Behinderung und der sexuellen Aufladung ‚rassenhygienischer‘ Fortpflanzung. Ekel und Erotik sind die Bindungskräfte, die in eine ideale Zukunft wirken, weswegen Herzog in Bezug auf den postmodernen Faschismus nicht vom Backlash, sondern „frontlash“ (24) spricht: Der Angriff greift vorweg und reagiert auf eine Entwicklung zum Beispiel der Migration von Palästinenser:innen, die bisher weder begonnen hat, noch unter den aktuellen politischen Bedingungen der Befriedung des „Nahostkonflikts“ wahrscheinlich ist.
Affekte sind für einen solchen vorweggreifenden Angriff ausgezeichnete Werkzeuge, weswegen Herzog ihre Aktivierung zum stärksten Bindeglied zwischen postmodernem Faschismus und Nationalsozialismus zählt. Ihre Stimulation, und die offene Absage an ihre Repression, verweist unmittelbar darauf, dass wir uns in der Phase der Faschisierung befinden und nicht mehr nur von Autoritarismus sprechen können. Denn die Gefühlsbindung an den Nationalsozialismus setzte auch schon voraus, die Intimsphäre durchdrungen zu haben und „die innersten Geheimnisse des Verlangens“ (41) preiszugeben, schreibt Herzog im zweiten Kapitel. Auch heute wird durch die Fokussierung auf den vorpolitischen Raum, auf die Gefühle und die Lüste, der Faschismus in den Subjekten vorbereitet und unsere „Geisteshaltung“ (47) affektiv vorkonditioniert.
Es ist eine wichtige Erkenntnis Herzogs, dass auch schon der historische Faschismus nicht auf ein „biologieversessenes Regime“ (42) reduziert werden konnte, sondern von sozialkonstruktivistischen Theorien der Veränderlichkeit und Formbarkeit von Verlangen ausging. Wir sind nie modern gewesen, auch im historischen Faschismus nicht; so ließe sich in den Worten Bruno Latours nach Herzog schlussfolgern. Schon im Nationalsozialismus finden sich Ansätze einer – in der postmodernen Theoriebildung untersuchten – Vorstellung sozial bedingter Konstruktionen von Begehren. Der postmoderne Faschismus ist daher keine Gegenwartsbeschreibung, sondern gewissermaßen ein Rückwärtsschock. Aimé Césaire prägte das Bild des Schocks, der durch die Anwendung kolonialistischer Verfahren in Europa gegen weiße Europäer:innen während des Nationalsozialismus ausgelöst wurde. Wenngleich die Übertragung dieses Bildes auf den hiesigen Gegenstand nicht ohne Risiken möglich ist, scheint mir die Anwendung postmoderner Verfahren aus der Zeit des Nationalsozialismus der Schock unserer Gegenwart zu sein: Die neu-faschistische Ko-Option der für postmoderne Theoriebildung zentralen Anfechtbarkeit unverrückbarer Wahrheiten (6) stellt als Echo der Vergangenheit des Nationalsozialismus einen Schock für postmoderne Theoriebildung dar. Sie muss erkennen, wie ihre Erkenntnisse gegen sie selbst gerichtet werden können.
Die gute Nachricht der Erkenntnis der Wandelbarkeit unseres Verlangens und der Anfechtbarkeit von Wahrheit ist: Wir können uns – wie Alberto Toscano es im Anschluss an Walter Benjamin in seinem Nachwort zu Herzogs Buch formuliert – für den Faschismus völlig unbrauchbar machen, indem wir unser Verlangen darauf orientieren, Verletzlichkeit anzunehmen und sie nicht durch fitness-asketische Selbstoptimierung zu verdrängen.