Autor: Redaktion

  • Lebensbejahende Lehren aus Rosa Luxemburgs Herbarium

    Agata Lisiak: Notes on plant companionship: from Rosa Luxemburg’s herbarium to Jumana Manna’s Foragers, Journal of Visual Culture (2024) 23 (2), 131-155.

    In „Notes on plant companionship: From Rosa Luxemburg’s herbarium to Jumana Manna’s Foragers“ [Notizen zu Pflanzen als Begleiterinnen: Von Rosa Luxemburgs Herbarium zu Jumana Mannas Sammlerinnen] ​​​​​​​ argumentiert Lisiak, dass Luxemburgs Analysen ineinandergreifender Unterdrückungssysteme nicht nur einen Rahmen für das Verständnis, sondern auch für den Widerstand gegen die heutigen Völkermorde, Kriege, Besetzungen, den Extraktivismus und die Umweltzerstörung bieten. Luxemburgs politische Ökologie sowie die Arbeit der zeitgenössischen Künstlerinnen Milena Bonilla, Marwa Arsanios und Jumana Manna erweitern diesen Rahmen um lebensbejahende Lehren aus der Pflanzenkameradschaft. Diese Frauen zeigen, wie die Gemeinschaft mit Pflanzen in der Beziehung zur Gegenwart befreiend wirkt und dabei hilft, sich unbeirrbar für ein Offenhalten der Zukunft einzusetzen. Nur wenn die Zukunft offen ist, können wir Alternativen zur Gewalt in Vergangenheit und Gegenwart entwickeln.

    https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/14704129241270246

  • Erklärung des CCC-Redaktionskollektivs zum anhaltenden Völkermord in Gaza

    The CCC Editorial Collective: A statement on the ongoing genocide in Gaza, Communication, Culture & Critique (2025) 18 (1), 3–8.

    Das Redaktionskollektiv der Zeitschrift Communication, Culture and Critique (CCC) gab im Januar 2025 eine Erklärung ab, in der es „einen Waffenstillstand und die Abkehr von der israelischen Apartheid“ forderte. Aufgrund der zunehmenden Repressionen an US-amerikanischen Universitäten wurde die Erklärung von der Website der US-amerikanischen Universität entfernt, auf der sie ohne Paywall zugänglich sein sollte. Eine Website mit Open-Access-Versionen in verschiedenen Sprachen wird derzeit von kanadischen Mitgliedern des Kollektivs vorbereitet.

    Communication, Culture and Critique ist seit seiner Gründung im Jahr 2008 die führende Plattform für kritische Ansätze in den Kommunikations- und Medienwissenschaften. Im Januar 2025 übernahm ein neu gegründetes internationales und interdisziplinäres Redaktionskollektiv die Verantwortung. Für seine erste Ausgabe schrieb es eine programmatische redaktionelle Stellungnahme, die scharfen Protest gegen den Genozid in Gaza mit einer Analyse über Medienzensur und die Bereitstellung von Technologien für gezielte Tötungen verband. Das Redaktionskollektiv sieht als „das eklatante Epizentrum der Bemühungen der vorherrschenden globalen Ordnung, sich selbst zu reproduzieren: die anhaltende Völkermordkampagne des Staates Israel gegen die Palästinenser im Gazastreifen und seine allmähliche Ausweitung auf das Westjordanland“, wünscht sich aber „kritische antikoloniale Analysen ethno-nationalistischer und extraktiver Gewalt und Opposition“ von allen Schauplätzen dieser Welt, „einschließlich der gezielten Verfolgung der uigurischen Minderheit durch den chinesischen Staat, der Besetzung Kaschmirs durch den indischen Staat und der anhaltenden Entmenschlichung von Muslimen und unterdrückten religiösen und Kasten-Gemeinschaften, der Unterdrückung der Kurden durch den türkischen Staat, der ethnischen Säuberung der Tigrayans in Äthiopien und so weiter.“

    Die Erklärung als einleitender ↗ Artikel der Zeitschrift ist jetzt hinter einer Bezahlschranke. Während auf die kanadische Website gewartet wird, stellen wir hier ein PDF zur Verfügung.

  • Die BT-Resolution will Forschung und Lehre zensieren

    Dörthe Engelcke: Antisemitismus-Resolution: Gefährdete Diskursräume, taz, 30. Januar 2025.

    Und das geschieht gerade in einer Zeit, in der die berechtigte und dringend notwendige Thematisierung und Kritik an diesen Verbrechen international und inzwischen auch in Deutschland immer lauter werden. Der Artikel lenkt den Blick auf den politischen Kontext der Resolution: das Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof wegen des Verdachts auf Völkermord, die  Berichte der Vereinten Nationen über die apokalyptische Situation in Gaza, die übereinstimmenden Einschätzungen der systematischen Zerstörung des Gesundheitssystems und aller Infrastruktur. Die Resolution ignoriert diesen Kontext ebenso wie sie sich erst aus diesem Kontext erklären lässt. 

    https://taz.de/Antisemitismus-Resolution/!6062292/

  • Indien als Lehrstück

    Britta Ohm: Indien als Lehrstück. Vom Ende der Wissenschaftsfreiheit in der Demokratie, in: BdWi Studienheft 14: Umkämpfte Wissenschaftsfreiheit. Verhältnis von Wissenschaft und Politik, Oktober 2024, 56 S.

    Indien wird von westlichen Regierungen zunehmend als ein zukunftsweisendes, vor allem wirtschaftlich und technologisch wichtiges Partnerland dargestellt, auch unter Verweis auf seinen Status als „größte Demokratie der Welt“. In ihrer Wertschätzung Indiens unterscheiden sich proto-autokratische und etabliert-liberale Regierungen in Europa kaum. Britta Ohm schildert in diesem leider nicht online zugänglichen Text dagegen, wie die hindu-nationalistische Führung unter Narendra Modi seit ihrem Amtsantritt 2014 Universitäten und Hochschul-Campi immer stärker politisch drangsaliert und schließlich offen attackiert hat – besonders dort, wo sich Studierende und Lehrende mit Protesten der muslimischen Minderheit und niederkastigem Engagement solidarisiert haben. Die schrittweise Aushöhlung und Delegitimierung der Universitäten als Orten kritischen Verstehens und intellektueller Auseinandersetzung in Indien kann als eine Vorwegnahme heutiger Tendenzen in den USA und in Europa verstanden werden. Die ersten Verhaftungen von Studierenden an der Jawaharlal Nehru University (NJU) in Neu-Delhi 2016 geschah unter dem nie revidierten kolonialen „Gesetz gegen Aufwiegelung“ von 1870. Später stellte sich heraus, dass die ihnen zugerechneten Slogans von eingeschleusten Provokateuren skandiert worden waren. 

    „In vielerlei Hinsicht war damit die Universität als offenes ideologisches und auch physisches Schlachtfeld eröffnet, auf dem der Einsatz der Mittel durch die Hindu-nationalistische Regierung, rechts-extreme Netzwerke, private Medienkonzerne und social media Plattformen und zunehmend staatliche Organe (Polizei, Justiz) bestimmt und gegen die kritische Studierendenschaft sowie entsprechende Wissenschaftler:innen und Hochschullehrer:innen in Anschlag gebracht wurde.“

    Nach der Einführung der minderheitenfeindlichen Staatsbürgerschaftsgesetze eskalierte die Gewalt an der Jamia Millia Islamia (Nationale Islamische Universität) im Dezember 2019 in Delhi. Die Proteste griffen auf andere Landesteile und auf die nicht-universitäre Bevölkerung über. Die Bewegung wurde zu „groß, als dass die Polizei sie hätte zerschlagen können. Die Regierung griff stattdessen zu einem seit der Kolonialzeit probaten und im Zuge der jahrzehntelangen Hindu-nationalistischen Mobilisierung intensivierten Mittel, nämlich der Anzettelung eines ‚riot‘, einer pogromartigen Ausschreitung, in einem entfernten Stadtteil Delhis, für das die Angegriffenen verantwortlich gemacht wurden.“ 

    Bis heute sitzen überwiegend muslimische Studierende und Doktoranden ohne Gerichtsverfahren im Gefängnis.

    „Wer sich (Hindutva)kritisch mit Fragen zu Kasten-, Minderheiten- und Genderpolitik oder mit Problematiken von Zugehörigkeit, Bürger- und Menschenrechten befassen will, tut das auf eigene Gefahr. (…) Indien zeigt, wie weit ideologisch motivierte Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit und die Unterminierung von Universitäten als Orte verbriefter intellektueller Auseinandersetzung gehen können, ohne die Demokratie als offiziellen und entsprechend global vermarktbaren Rahmen abzuschaffen. Gleichzeitig haben aber gerade diese Angriffe zweifellos dazu beigetragen, dass die Modi-Regierung bei den Wahlen 2024 ihre absolute Mehrheit verloren hat.“

    Der Artikel endet damit, dass wir von Indien lernen können, uns „nicht einfach auf die ängstliche Verteidigung der liberal-säkularen Demokratie“ zurückzuziehen, sondern unter Einberechnung der uns zu erwartenden Rückschläge Demokratie neu zu denken und „Wissenschaft und das Wissen der Bevölkerung in neue Beziehungen“ zu setzen. 

    https://www.bdwi.de/show/11222980.html

  • Das deutsche Schweigen über die Proteste in Serbien

    Julian Borger: “We’ve Proved that Change is Possible” – but Serbia Protesters Unsure of Next Move, The Guardian, 3. Februar 2025.

    Es war der letzte Arbeitstag der Woche, der 1.11.2024. Der Bahnhof in Novi Sad, einer pulsierenden, multikulturellen Stadt, war belebter als sonst. Um 11:52 Uhr stürzte das Bahnhofsvordach ein und tötete 15 Menschen. Schock, Trauer und Wut breiteten sich im ganzen Land aus. Aus Mahnwachen und Verkehrsblockaden entwickelte sich eine Protestbewegung, angeführt von Studierenden, die seitdem von der Regierung Rechenschaft, Transparenz und Verantwortung fordern. Die Tragödie in Novi Sad passierte vor dem Hintergrund einer lange bestehenden, systemischen Korruption, zunehmender Armut und vielfältiger Menschenrechtsverletzungen. Dabei hat sich Serbien in den letzten Jahren zu einem attraktiven Land für ausländische Investoren entwickelt und hat sich dem Westen auf durchaus widersprüchliche Weise angenähert. Belgrad hat für 800 Millionen Dollar Munition an die Ukraine geliefert, ohne sich den Sanktionen gegen Russland anzuschließen. Es gibt einen lebhaften Waffenhandel zwischen Serbien und Israel (hier, hier und hier). Im vergangenen Sommer war Bundeskanzler Olaf Scholz dabei, als die EU trotz der Bürgerproteste in Serbien und trotz des Widerstands von Umweltaktivisten einen „Lithium-Pakt“ schmiedete: ein Rahmenabkommen über den Lithiumabbau für die Produktion von Elektrofahrzeugen. Die EU will durch Kooperation mit den korrupten und autoritären Machthabern in Belgrad ihre Lithium-Abhängigkeit von China verringern. Serbiens Präsident gehörte der Regierung von Milošević an und trägt für die Kriegsverbrechen (u. a. Völkermord) in den Jugoslawienkriegen Mitverantwortung.

    Warum erfahren wir in Deutschland so wenig über die Studierendenproteste in Serbien? (Ausnahmen hier, hier, hier, hier oder hier). Warum gibt es keine Stellungnahmen von EU-Politiker:innen? 

    Im Guardian ist am 3.2.2025 ein Artikel erschienen, der die Komplexität dieser seit drei Monaten täglich stattfindenden Proteste anschaulich einfängt und das Schweigen der EU addressiert. Es fällt manchen von uns, die wir in Deutschland in der Diaspora leben, schwer, dieses Schweigen nicht mit dem Schweigen zusammenzudenken, das die genozidalen Schrecken in Gaza und im Westjordanland ignoriert.

    With student-led activists reluctant to engage politically against well-entrenched regime, many are asking: now what?

  • Deckmantel für die autoritäre Wende?

    Marion Detjen: „Diese Resolution zerstört den freien Diskursraum an Unis“, Neues Deutschland, 30. Januar 2025.

    Die Resolution ist vor allem deshalb selbstwidersprüchlich, weil sie einerseits wissenschaftliche Exzellenz zum alleinigen Kriterium für die Förderwürdigkeit von Forschungsvorhaben macht, andererseits aber der Wissenschaft eine einzige Definition von Antisemitismus vorschreiben will: die IHRA-Definition, die wegen ihrer Vagheit eine willkürliche Auslegung des sogenannten israelbezogenen Antisemitismus erlaubt. Politisch vorgegebene Definitionen sind in der Wissenschaft ein Unding. Die Resolution lässt aber auch sonst nichts Gutes ahnen: Sie will „Meldestellen“, die mit den Sicherheitsbehörden kooperieren sollen; die Lehrenden sollen in speziellen Seminaren indoktriniert werden und selbst gezwungen sein, zu indoktrinieren; das Wissen über die komplexen Verhältnisse im Nahen Osten wird also nicht zu-, sondern abnehmen. Das im Titel der Resolution gegebene Versprechen, „den freien Diskursraum zu sichern“ wird in sein Gegenteil verkehrt. 

    https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188670.gastkommentar-diese-resolution-zerstoert-den-freien-diskursraum-an-unis.html

  • Hochschulen sind keine „Brutstätten“ für Antisemitismus

    Ilyas Saliba: Das Ende der Wissenschaftsfreiheit, Spiegel, 29. Januar 2025.

    Dass der Bundestag es überhaupt als notwendig erachtet, einen Antrag speziell zum Antisemitismus an Hochschulen und in der Bildung zu verabschieden, lässt den Rückschluss zu, Universitäten seien eine zentrale Brutstätte für Antisemitismus in Deutschland. Eine Studie, die an der Universität Konstanz im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zum Antisemitismus an Hochschulen erstellt wurde, zeigt aber genau das Gegenteil. Antisemitismus ist an Hochschulen und unter Studierenden weniger verbreitet als in der Gesamtgesellschaft. Die Studie, und mit ihr der Artikel, empfiehlt eine differenzierte Betrachtung, denn auch palästinasolidarische Positionen unter Studierenden stehen „kaum oder nur in geringem Maße“ mit Antisemitismus in Verbindung. Diese wesentliche Erkenntnis wird in der Resolution unterschlagen. Sie passt offenkundig nicht in das problematische Bild, das der Bundestag sich pauschalisierend von den Universitäten gemacht hat. 

    https://www.spiegel.de/politik/deutschland/antisemitismus-an-hochschulen-bundestagsresolution-schraenkt-die-wissenschaftsfreiheit-ein-a-75e8afc5-9481-4fd5-b02f-217a621daa9e

  • Palästina-Proteste an den Unis: Es geht auch ohne Polizeieinsatz!

    Ilyas Saliba/Ralf Michaels: Protest an der Alice-Salomon-Hochschule: Es geht auch friedlich, taz, 23. Januar 2025.

    Weil die Präsidentin der Alice-Salomon-Hochschule, Bettina Völter, mit den protestierenden Studierenden verhandelte und damit einen Polizeieinsatz verhinderte, geriet sie ins Kreuzfeuer der Kritik. Dabei sollte ihr Beispiel Schule machen, denn ihr umsichtiger Umgang mit den Protesten zeigt: es geht auch ohne Polizeieinsatz. Das passt denen nicht, die meinen, mehr Repression und staatliche Kontrolle an den Hochschulen seien notwendig.

    https://taz.de/Protest-an-der-Alice-Salomon-Hochschule/!6060185/

  • Antisemitismus-Resolutionen des Deutschen Bundestages führen zur Erosion rechtsstaatlicher Standards

    Florian Meinel: Die Idee der Staatsräson im neuesten deutschen Recht, Verfassungsblog, 2. Januar 2025.

    Die Rechtsform der Resolution vermeidet gezielt rechtliche Verbindlichkeit und erzeugt damit auf eine diffuse Weise eine neue Rechtswirkung: durch die Erosion rechtsstaatlicher Standards und durch vage gruppenbezogene Feinderklärungen. Der Beitrag analysiert, wie sich das in der Verwaltungspraxis sehr handfest im Einzelfall auswirkt: anhand eines Urteils des Verwaltungsgerichts Regensburg zum neuen Einbürgerungsrecht.

    https://verfassungsblog.de/die-idee-der-staatsrason-im-neuesten-deutschen-recht/

  • Die BT-Resolution „zum Schutz jüdischen Lebens” identifiziert Jüd:innen mit Israel und ist deshalb selbst antisemitisch

    Samantha Carmel: Die falschen Lehren aus dem Holocaust: Deutschland stiehlt mir meine jüdische Identität, der Freitag, 5. Dezember 2024.

    Diesen Artikel hat die KriSol-Debatten-Redaktion noch vor ihrer eigentlichen Gründung betreut und teilt ihn hier deshalb als Drop. Statt ihn zusammenzufassen, wollen wir lieber ausführlich zitieren:

    „Die Resolution ist kaum verhehlt von der Absicht getrieben, Fundamentalkritik am Krieg der israelischen Regierung gegen das palästinensische Volk zum Schweigen zu bringen, die Schuld für den zunehmenden Antisemitismus in Deutschland auf Geflüchtete sowie migrantisierte und marginalisierte Bevölkerungsgruppen abzuwälzen und eine dehnbare Definition von Antisemitismus zu missbrauchen, deren ursprüngliche Verfasser sie für den juristischen und politischen Gebrauch ungeeignet halten. 

    Wenn die Rechte aller eingeschränkt werden, den Staat Israel und die Handlungen der rechtsextremen Netanjahu-Regierung zu kritisieren, werden auch die Rechte der Juden eingeschränkt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, das Deutschland mich zensiert, mich gegen eine Regierung zu wehren, die mich als Jüdin angeblich repräsentiert. Die deutsche Regierung besteht somit nicht nur auf einem autoritären, verengten Verständnis von Israel; sie greift auch legitime Ausdrucksformen jüdischer Identität an und maßt sich an, zu entscheiden, wer als Jude Geltung und Gehör finden soll – letztlich nur diejenigen, die vom Zentralrat der Juden vertreten werden. Der Eindruck einer Kontinuität zu nationalsozialistischen Versuchen, die jüdische Bevölkerung zu hierarchisieren und zu kontrollieren, drängt sich auf. In anderen Worten: Für mich und andere, die nicht sprechen sollen, ist das Antisemitismus.
    (…)

    Die Resolution beruft sich auf den Schutz jüdischen Lebens, um durch die Schaffung zweier neuer sozialer Kategorien eine völlige Umkehrung von Opfer und Täter zu ermöglichen. Mit dem Konzept des ‚linken antiimperialistischen Antisemiten‘ bietet sie einen rhetorischen Rahmen, in dem ich effektiv meines Jüdischseins beraubt werde. Gleichzeitig erlaubt sie mit dem Konzept des ‚israelsolidarischen Denkens‘ nicht-jüdischen Deutschen, effektiv zu Juden zu werden. Ihre freie Meinungsäußerung, so heißt es in der Resolution, muss ebenso geschützt werden wie die von Personen ‚mit jüdischen Wurzeln und israelischer Herkunft‘. 

    Mir fehlen die Worte, um zu beschreiben, wie es sich anfühlt, dass die Nachfahren der Nazis mich aus ihrer Definition des Judentums herausschreiben und mich als Antisemitin einstufen, weil ich nicht zu der politisch nützlichen jüdischen Kategorie gehöre, und dass sie diese Aberkennung meiner Identität mit ihrer Selbsternennung zu potentiellen Opfern von Antisemitismus verbinden. Und all das geschieht als Teil eines politischen Manövers, um den Völkermord in Gaza nicht als solchen anerkennen zu müssen und zugleich eine offen rassistische, einwanderungsfeindliche Wende in Deutschland herbeizuführen? Mir dreht sich der Kopf, mir bricht das Herz.
    (…)“

    https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/nie-wieder-bedeutet-nichts