Autor: Redaktion

  • Deckmantel für die autoritäre Wende?

    Marion Detjen: „Diese Resolution zerstört den freien Diskursraum an Unis“, Neues Deutschland, 30. Januar 2025.

    Die Resolution ist vor allem deshalb selbstwidersprüchlich, weil sie einerseits wissenschaftliche Exzellenz zum alleinigen Kriterium für die Förderwürdigkeit von Forschungsvorhaben macht, andererseits aber der Wissenschaft eine einzige Definition von Antisemitismus vorschreiben will: die IHRA-Definition, die wegen ihrer Vagheit eine willkürliche Auslegung des sogenannten israelbezogenen Antisemitismus erlaubt. Politisch vorgegebene Definitionen sind in der Wissenschaft ein Unding. Die Resolution lässt aber auch sonst nichts Gutes ahnen: Sie will „Meldestellen“, die mit den Sicherheitsbehörden kooperieren sollen; die Lehrenden sollen in speziellen Seminaren indoktriniert werden und selbst gezwungen sein, zu indoktrinieren; das Wissen über die komplexen Verhältnisse im Nahen Osten wird also nicht zu-, sondern abnehmen. Das im Titel der Resolution gegebene Versprechen, „den freien Diskursraum zu sichern“ wird in sein Gegenteil verkehrt. 

    https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188670.gastkommentar-diese-resolution-zerstoert-den-freien-diskursraum-an-unis.html

  • Hochschulen sind keine „Brutstätten“ für Antisemitismus

    Ilyas Saliba: Das Ende der Wissenschaftsfreiheit, Spiegel, 29. Januar 2025.

    Dass der Bundestag es überhaupt als notwendig erachtet, einen Antrag speziell zum Antisemitismus an Hochschulen und in der Bildung zu verabschieden, lässt den Rückschluss zu, Universitäten seien eine zentrale Brutstätte für Antisemitismus in Deutschland. Eine Studie, die an der Universität Konstanz im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zum Antisemitismus an Hochschulen erstellt wurde, zeigt aber genau das Gegenteil. Antisemitismus ist an Hochschulen und unter Studierenden weniger verbreitet als in der Gesamtgesellschaft. Die Studie, und mit ihr der Artikel, empfiehlt eine differenzierte Betrachtung, denn auch palästinasolidarische Positionen unter Studierenden stehen „kaum oder nur in geringem Maße“ mit Antisemitismus in Verbindung. Diese wesentliche Erkenntnis wird in der Resolution unterschlagen. Sie passt offenkundig nicht in das problematische Bild, das der Bundestag sich pauschalisierend von den Universitäten gemacht hat. 

    https://www.spiegel.de/politik/deutschland/antisemitismus-an-hochschulen-bundestagsresolution-schraenkt-die-wissenschaftsfreiheit-ein-a-75e8afc5-9481-4fd5-b02f-217a621daa9e

  • Palästina-Proteste an den Unis: Es geht auch ohne Polizeieinsatz!

    Ilyas Saliba/Ralf Michaels: Protest an der Alice-Salomon-Hochschule: Es geht auch friedlich, taz, 23. Januar 2025.

    Weil die Präsidentin der Alice-Salomon-Hochschule, Bettina Völter, mit den protestierenden Studierenden verhandelte und damit einen Polizeieinsatz verhinderte, geriet sie ins Kreuzfeuer der Kritik. Dabei sollte ihr Beispiel Schule machen, denn ihr umsichtiger Umgang mit den Protesten zeigt: es geht auch ohne Polizeieinsatz. Das passt denen nicht, die meinen, mehr Repression und staatliche Kontrolle an den Hochschulen seien notwendig.

    https://taz.de/Protest-an-der-Alice-Salomon-Hochschule/!6060185/

  • Antisemitismus-Resolutionen des Deutschen Bundestages führen zur Erosion rechtsstaatlicher Standards

    Florian Meinel: Die Idee der Staatsräson im neuesten deutschen Recht, Verfassungsblog, 2. Januar 2025.

    Die Rechtsform der Resolution vermeidet gezielt rechtliche Verbindlichkeit und erzeugt damit auf eine diffuse Weise eine neue Rechtswirkung: durch die Erosion rechtsstaatlicher Standards und durch vage gruppenbezogene Feinderklärungen. Der Beitrag analysiert, wie sich das in der Verwaltungspraxis sehr handfest im Einzelfall auswirkt: anhand eines Urteils des Verwaltungsgerichts Regensburg zum neuen Einbürgerungsrecht.

    https://verfassungsblog.de/die-idee-der-staatsrason-im-neuesten-deutschen-recht/

  • Die BT-Resolution „zum Schutz jüdischen Lebens” identifiziert Jüd:innen mit Israel und ist deshalb selbst antisemitisch

    Samantha Carmel: Die falschen Lehren aus dem Holocaust: Deutschland stiehlt mir meine jüdische Identität, der Freitag, 5. Dezember 2024.

    Diesen Artikel hat die KriSol-Debatten-Redaktion noch vor ihrer eigentlichen Gründung betreut und teilt ihn hier deshalb als Drop. Statt ihn zusammenzufassen, wollen wir lieber ausführlich zitieren:

    „Die Resolution ist kaum verhehlt von der Absicht getrieben, Fundamentalkritik am Krieg der israelischen Regierung gegen das palästinensische Volk zum Schweigen zu bringen, die Schuld für den zunehmenden Antisemitismus in Deutschland auf Geflüchtete sowie migrantisierte und marginalisierte Bevölkerungsgruppen abzuwälzen und eine dehnbare Definition von Antisemitismus zu missbrauchen, deren ursprüngliche Verfasser sie für den juristischen und politischen Gebrauch ungeeignet halten. 

    Wenn die Rechte aller eingeschränkt werden, den Staat Israel und die Handlungen der rechtsextremen Netanjahu-Regierung zu kritisieren, werden auch die Rechte der Juden eingeschränkt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, das Deutschland mich zensiert, mich gegen eine Regierung zu wehren, die mich als Jüdin angeblich repräsentiert. Die deutsche Regierung besteht somit nicht nur auf einem autoritären, verengten Verständnis von Israel; sie greift auch legitime Ausdrucksformen jüdischer Identität an und maßt sich an, zu entscheiden, wer als Jude Geltung und Gehör finden soll – letztlich nur diejenigen, die vom Zentralrat der Juden vertreten werden. Der Eindruck einer Kontinuität zu nationalsozialistischen Versuchen, die jüdische Bevölkerung zu hierarchisieren und zu kontrollieren, drängt sich auf. In anderen Worten: Für mich und andere, die nicht sprechen sollen, ist das Antisemitismus.
    (…)

    Die Resolution beruft sich auf den Schutz jüdischen Lebens, um durch die Schaffung zweier neuer sozialer Kategorien eine völlige Umkehrung von Opfer und Täter zu ermöglichen. Mit dem Konzept des ‚linken antiimperialistischen Antisemiten‘ bietet sie einen rhetorischen Rahmen, in dem ich effektiv meines Jüdischseins beraubt werde. Gleichzeitig erlaubt sie mit dem Konzept des ‚israelsolidarischen Denkens‘ nicht-jüdischen Deutschen, effektiv zu Juden zu werden. Ihre freie Meinungsäußerung, so heißt es in der Resolution, muss ebenso geschützt werden wie die von Personen ‚mit jüdischen Wurzeln und israelischer Herkunft‘. 

    Mir fehlen die Worte, um zu beschreiben, wie es sich anfühlt, dass die Nachfahren der Nazis mich aus ihrer Definition des Judentums herausschreiben und mich als Antisemitin einstufen, weil ich nicht zu der politisch nützlichen jüdischen Kategorie gehöre, und dass sie diese Aberkennung meiner Identität mit ihrer Selbsternennung zu potentiellen Opfern von Antisemitismus verbinden. Und all das geschieht als Teil eines politischen Manövers, um den Völkermord in Gaza nicht als solchen anerkennen zu müssen und zugleich eine offen rassistische, einwanderungsfeindliche Wende in Deutschland herbeizuführen? Mir dreht sich der Kopf, mir bricht das Herz.
    (…)“

    https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/nie-wieder-bedeutet-nichts